Pfr. Martin Dubberke
Höllentalklamm | Bild: Martin Dubberke

Angebot Freiheit

Liebe Geschwister, Mose hat zu seinem Volk einmal gesagt:

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?

Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

5. Mose 30,11–14

So lautet der Predigttext für diesen Sonntag. Er stammt aus einem Abschnitt, der mit den Worten überschrieben ist: Die letzten Verfügungen des Mose. Und ich möchte diesen Text noch um die Verse 15 bis 16 ergänzen, weil sie noch einmal die Dringlichkeit und Notwendigkeit der ersten Verse unterstreichen:

Siehe, ich lege dir heute das Leben und das Gute vor, den Tod und das Böse. Dies ist’s, was ich dir heute gebiete: dass du den HERRN, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der HERR, dein Gott, wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen.

5. Mose 30,15–16

Das Wort ist das Gebot. Das Gebot, für das man nicht weite Wege gehen muss. Das Gebot, das man nicht lange suchen muss, weil es ganz nah bei uns ist. Denn es ist das Wort ganz nahe bei einem, in seinem Munde und in seinem Herzen, so dass man es einfach nur noch tun muss. Wir wissen es eigentlich, aber beherzigen wir es auch?

Das Wort ist das Gebot. Das Gebot, das heute viele als freiheitsbeschränkende Maßnahme missverstehen, wobei es doch genau das Gegenteil ist.

Das Gebot, das mich einlädt, etwas nicht zu tun, ist das Gebot, etwas anders zu tun. Und genau das ist der schmale Grat zwischen Freiheit und Unfreiheit.

Es ist das Missverständnis unserer Zeit schlechthin, dass man zu wissen glaubt, Freiheit zu haben, wenn man sich nicht an Gebote hält, ja sogar gegen sie protestiert, so dass man am Ende ein Gefangener seines Missverständnisses von Freiheit wird. Wir können eine der Spielarten dieses Missverständnisses an einem einzigen Wort erkennen, das dieser Tage in aller Munde ist: „Reiserisikogebiet“, was klingt, als sei es ein Kriegsgebiet.

Und damit wird aus meiner Sicht etwas deutlich: Freiheit braucht Vertrauen, Vertrauen auf die Gebote Gottes, mit denen wir in unserem Leben erkennen können, was in der Zeit geboten ist.

Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

Das Gebot erlaubt keine Gleichgültigkeit. Das Gebot Gottes stellt einen jeden Menschen vor die Entscheidung: Tue ich es oder tue ich es nicht? Jedes Gebot Gottes stellt mich tagtäglich – nahezu unbewusst – vor diese Entscheidung. Und zu jeder Entscheidung gehört das Abwägen resp. Bedenken der Konsequenzen. Denke ich so kurz, dass ich nur an mich denke oder auch an das, was mein Handeln für andere bedeutet?

Paulus bringt das in seinem Brief an die Epheser – wir haben es heute als Epistel gehört – exakt auf den Punkt:

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.

Epheser 5, 15-17

Das Gebot eröffnet mir eine Freiheit, die auch meines ganzen Mutes bedarf, weil Freiheit nichts für Feiglinge ist. Das Gebot nimmt mich in Verantwortung gegenüber Gott und damit gegenüber meinem Nächsten.

Mose macht zugleich auch deutlich, dass Gottes Gebot uns Anteil am Segen und am Leben gibt.

Gott macht uns mit seinem Gebot ein Angebot, mit dem er uns gegenüber seine Liebe und somit seine Fürsorge für uns zum Ausdruck bringt. Weil er uns liebt, will er uns vor uns selbst, unserem Egoismus bewahren. Und dieser Weg ist nun einmal die Liebe.

Im Grunde genommen gebietet er uns nichts anderes als die Liebe. Und die Liebe bedeutet Vertrauen. Und es geschieht noch etwas anderes:

Dies ist’s, was ich dir heute gebiete: dass du den HERRN, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der HERR, dein Gott, wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen.

5. Mose 30,16

Das ist für mich ein ganz spannender Moment. Gott liebt mich und das Annehmen und Leben seiner Gebote ist die Erwiderung seiner Liebe. Und weil ich mich von Gott geliebt weiß und fühle, kann ich auch andere lieben, mich auf das Wagnis der Liebe einlassen. Und darauf wird dann der Segen liegen. Und Segen bedeutet, heil zu sein.

Sich auf den Weg der Gebote zu begeben, bedeutet für einen Menschen selbst, für jeden einzelnen von uns, für jeden einzelnen, der sich dafür entscheidet, dass sich sein Leben verändern wird und damit auch das Leben und die Menschen um einen herum. Diese Veränderung wird zum Segen für mich und damit auch für andere.

Unser Land und unsere Welt zeigen uns auf eindrückliche Art und Weise, wie viele Menschen sich von den Geboten Gottes und damit vom Segen entfernt haben, so sehr, dass die Konsequenzen für jeden von uns spürbar sind. Und genau darin liegt eine besondere Gefahr, die sich wie ein Virus ausbreitet, weil so viele Menschen sagen, dass es keinen Gott geben kann, weil sonst doch so vieles anders in der Welt sein müsste, es keinen Krieg, keinen Hunger, keinen Mord und Totschlag gäbe.

Diese Menschen erzählen das bei jeder Gelegenheit, diktieren es der Presse in deren Tastaturen, sprechen es in die Fernsehkameras dieser Welt, schreiben es in den sozialen Medien oder als Leserbriefe. Macht Euch mal die Mühe bei der Online-Ausgabe Eurer Tageszeitung die Leserkommentare z.B. unter einem Artikel zum Thema Kirche oder Religion zu lesen, wie viel Unwissen dort als Wissen verbreitet wird. Ich habe mir mal vor einigen Monaten das Vergnügen gemacht, alle Kommentare unter so einem Artikel zu markieren und in ein Dokument zu kopieren. Es waren insgesamt 149 Seiten, auf denen die meisten meinten, es gäbe keinen Gott und dies mit der entsprechenden Situation in dieser Welt begründet haben.

Sie alle, die glauben, sie würden uns damit dafür den Beweis liefern, dass es keinen Gott gibt, liefern am Ende – und das ist die Ironie daran – den Beweis dafür, dass es Gott gibt. Wie sagte doch Mose?

Dies ist’s, was ich dir heute gebiete: dass du den HERRN, deinen Gott, liebst und wandelst in seinen Wegen und seine Gebote, Gesetze und Rechte hältst, so wirst du leben und dich mehren, und der HERR, dein Gott, wird dich segnen in dem Lande, in das du ziehst, es einzunehmen.

5. Mose 30,16

Genau, es liegt in unserer Hand, den Segen in diese Welt zu bringen.

Siehe, ich lege dir heute das Leben und das Gute vor, den Tod und das Böse.

5. Mose 30,15

Mose macht deutlich, dass Gott dem Menschen die Freiheit der Entscheidung überlassen hat, sich für das Leben und das Gute zu entscheiden oder das Gegenteil und die jeweils damit verbundenen Konsequenzen in Aussicht gestellt.

Und genau das verkennen die meisten Menschen, die mit dem Bösen und dem Tod die Nichtexistenz Gottes postulieren. Dabei sind sie der lebende Beweis dafür, dass es Gott gibt und was die Konsequenzen daraus sind, wenn wir nicht in seinen Wegen wandeln und seine Gebote halten.

An Gott zu glauben, bedeutet auch an die Wirkung seines Wortes, seiner Gebote zu glauben, ihnen zu vertrauen.

Was das bedeutet habe ich gestern, als ich mit meinem lieben Kollegen Josef Konitzer die neue Höllentalbrücke gesegnet habe, am Bild der Brücke deutlich gemacht:

Die Brücke steht für unseren Glauben, unser Vertrauen auf Gott, dass er unsere Füße nicht wanken lässt, dass er uns durch dunkle Täler wandeln lässt und sein Stecken und Stab uns trösten werden.

Die Brücke steht für unseren Glauben, der uns auch Gefahren überwinden lässt. Die Brücke steht für unser Gottvertrauen, dass er uns nicht in die Tiefe fallen lässt.

Die Brücke steht damit auch für den rechten Weg im Glauben, auf dem uns Gott führt, damit wir an das Ziel kommen, dass er uns allein aus Glauben, allein aus Gnade verheißen und eröffnet hat.

Und so steht das Höllental für die beeindruckende Gefahr und das Verderben, das uns droht, wenn wir diesen Weg verlassen.  Wer hier hineinstürzt, ist wohl kaum mehr zu retten.

Und so braucht es auch einen besonderen Mut zum Brücken-bauen, weil Brücken wie unser Glaube an den dreieinigen Gott Gräben und Tiefen überwinden.

Gleichzeitig steht so eine Brücke wie die neue Höllentalbrücke auch dafür, dass wir an Orte gelangen können, die wir ohne die Kraft des Glaubens nie erreichen würden. Und zugleich eröffnet uns die Brücke über das Höllental Perspektiven, die wir nicht hätten, wenn wir nicht den Gang über diese Brücke wagen würden. Und so steht diese Brücke für unseren Glaubensmut, mit dem wir den ersten Gang über diese Brücke wagen.

Nebenbei erzählt: Als wir gestern an der Höllentaleingangshütte alle zusammengekommen sind, fragte jemand, warum denn zwei Pfarrer die Brücke segnen würden. Darauf antwortete ich: „Naja, es gehen ja nicht nur Katholiken über die Brücke, sondern auch Protestanten. Die sollen doch auch sicher auf die andere Seite kommen.“ Daraufhin fragt ein anderer: „Ja, aber es gibt doch auch Menschen, die das nicht Glauben oder einen anderen Glauben haben.“ Antworte ich: „Stimmt, aber wenn die glücklich über die Brücke gekommen sind, sagen die dann: „Gott sei Dank!“ Und damit fängt es dann an.“ Es folgt ein großes Lachen. Glaube macht eben auch fröhlich.

Aber wieder zurück zum Bild der Brücke: Diese Brücke ist der kürzeste Weg auf die andere Seite, so wie unser Glaube der kürzeste Weg zu unserem Nächsten ist. Eine Brücke verbindet Menschen miteinander, so wie auch der Glaube Menschen miteinander verbindet.

Und nicht zuletzt: So wie mich diese starke und stabile Brücke sicher auf die andere Seite gelangen lässt, so trägt uns ein starker Glaube auch durch das aufregende und spannende Leben, dass Gott uns geschenkt hat.

Und damit komme ich wieder bei unserem Predigttext an:

Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?

Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?14 Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust.

5. Mose 30,11–14

Und wie lautet nun am Ende die Quintessenz? Paulus hat es uns heute schon öfter verraten:

Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.

Epheser 5, 15-17

Tja, und nun seid Ihr dran 😉

Amen.

Pfr. Martin Dubberke
Pfarrer Martin Dubberke

Pfarrer Martin Dubberke, Predigt über 5. Mose 30, 11-14 Perikopenreihe II am 18. Sonntag nach Trinitatis, 11. Oktober 2020, in der Johanneskirche Partenkirchen